Qual der Ladekabel-Wahl

An der E-Tankstelle der Zukunft

Qual der Ladekabel-Wahl

15. Juli 2024 agvs-upsa.ch –​ In der Schweiz gibt’s zwar immer mehr Schnelllademöglichkeiten entlang der Nord-Süd-Achse, doch bei der wachsenden Zahl der E-Mobile hierzulande gilt es, die Ladeinfrastruktur dennoch rasch auszubauen. Das wird auch Tankstellen verändern. Wie die E-Tankstelle der Zukunft aussieht und was sie alles bietet, haben sich die AGVS-Medien bereits angeschaut. Jürg A. Stettler

Mit dem elektrischen VW ID.Buzz hat man hier für einmal die Qual der Ladekabel-Wahl. Fotos: AGVS-Medien

In Europa wurden 2023 rund 1,5 Millionen reine Elektroautos zugelassen, das bedeutet ein Plus von 37 Prozent. In der Schweiz waren es 52’725 Fahrzeuge. Und damit wurden gemäss dem Verband Swiss eMobility letztes Jahr mehr E-Autos zugelassen, als 2020 auf unseren Strassen unterwegs gewesen waren. Mittlerweile surren über 170’000 Vollstromer nahezu lautlos über Schweizer Strassen. Bei dieser Marktwachstumsrate und diesem Marktanteil befindet sich die Schweiz nach wie vor über dem europäischen Durchschnitt für E-Autos, ist aber trotzdem ins Mittelfeld zurückgefallen. Marktführer sind die skandinavischen Länder, dicht gefolgt von den Benelux-Staaten. Zusammen mit den beliebten Plug-in-Hybriden heissen mehr BEV auf den Strassen aber auch, dass immer mehr Autos auf Ladeinfrastruktur angewiesen sind.



Die E-Tankstelle der Zukunft samt Restaurant, Sortimo-Filiale und 76 Ladepunkten im bayerischen Zusmarshausen.

Dichtes Ladenetz, aber Ausbau dennoch nötig
Das öffentliche Ladenetz ist hierzulande zum Glück eines der dichtesten und besten weltweit. 2023 wurden rund 4000 öffentliche Ladepunkte zugebaut. Der Schweizer Elektromobilität stehen somit 16.865 öffentlich zugängliche Ladepunkte zur Verfügung (Stand Ende November 2023). Davon sind gemäss Krispin Romang vom Verband Swiss eMobility 2706 DC-Schnelllader. Besonders zügig lädt es sich in den Kantonen, die an der Nord-Süd-Achse liegen. Im Vergleich zu unseren Nachbarn liegen wir knapp hinter Österreich, aber klar vor Frankreich, Deutschland und Italien bezüglich Lademöglichkeiten. Unter 28 Ländern gibt’s für die Schweizer Ladeinfrastruktur den respektablen Platz sechs, beim Ranking zu Schnellladern pro 100 Kilometer Autobahn reicht es gar für den dritten Platz. Doch der schnell wachsende E-Fuhrpark verlangt auch nach rasant wachsender Ladeinfrastruktur, und hier gilt es – vor allem weil bei uns anders als beispielsweise in Deutschland kein Recht auf Laden herrscht –, nicht den Anschluss zu verlieren. Beim BFE hat man deswegen die «Roadmap Elektromobilität» erstellt und trifft sich regelmässig mit den wichtigsten Akteuren – darunter auch dem AGVS – damit die E-Mobilität auf Touren kommt.Kann man zuhause und/oder bei der Arbeit laden, ist man mit einem Elektroauto heute am günstigsten unterwegs. Zudem reist man innerhalb der Schweiz dank der grösseren Batterien und damit gestiegenen Reichweiten der aktuellen E-Modelle absolut souverän. Die Lithium-Ionen-Hochvoltbatterie im Fahrzeugboden des VW ID.Buzz liefert beispielsweise bis zu 423 Kilometer Reichweite gemäss WLTP. Und dank einer maximalen DC-Schnellladeleistung von bis zu 170 kW dauert es nur etwa knapp 30 Minuten, um die Batterie von 5 auf 80 Prozent zu laden. So reist man hierzulande sorglos, auch wenn mal der eine oder andere Schnelllader schon besetzt ist, eine andere Ladestation von einem Verbrenner gerade zugeparkt ist oder auch die Freischaltung durch die Ladekarte nicht funktioniert – ärgerlich, aber mehr nicht.


Einfach Nummer am Ladekabel merken, innen am grossen Touchscreen eingeben, mit Kredit- oder EC-Karte, etc. bezahlen und schon wird der Ladevorgang gestartet.

Einer der grössten E-Ladeparks Europas
Zwar steht die Schweiz bezüglich Lademöglichkeiten gut da, aber es geht noch mehr. Und wie eine E-Tankstelle der Zukunft aussehen könnte, haben sich die AGVS-Medien deshalb extra angeschaut. Schliesslich ist diese seit August 2021 in Betrieb und liegt nur etwas mehr als vier Stunden Fahrt vom Berner AGVS-Hauptsitz in der Mobilcity entfernt. Wir gleiten zügig und trotzdem fast lautlos von Ulm über die deutsche Autobahn A8 Richtung München, die Reichweite schwindet und der baldige Tankstopp im Sortimo Innovationspark kommt daher genau zum richtigen Zeitpunkt. Bis auf den Navi-Hinweis gibt’s aber, auch kurz vor der Abfahrt, keinen weiteren Hinweis oder Schilder, die auf die Tankstelle der Zukunft mit nicht weniger als 76 Ladepunkten und Ladeleistungen bis zu 475 kW hinweisen.

Auch Standort für Batterietausch bei Nio-Modellen
Gar erst kurz nach der Ausfahrt sehen wir das gleich neben der A8 gelegene, auch architektonisch spannende Ladeparadies mit seinem begrünten Dach und dem grossen Parkplatz daneben. Auf dem 35’000 Quadratmeter grossen Areal gibt’s die unterschiedlichsten Möglichkeiten, Fahrzeuge zu laden, und zwar vom PW über leichte Nutzfahrzeuge bis hin zu LKW und Bussen – sogar für E-Bikes gibt’s Ladebuchsen. Benzin oder Diesel – Fehlanzeige! Einzig ganze Batterien gibt’s hier neben Strom noch, denn der Sortimo Innovationspark in Zusmarshausen ist nicht nur einer der grössten Ladeparks Europas, sondern auch der erste Standort für eine Nio-Power-Swap-Station. Im hinteren Teil, gleich nach mehreren Tesla-Superchargern, können sich Fahrer der chinesischen E-Marke Nio in einem Container eine neue Batterie holen. Der Austausch erfolgt vollautomatisch innert rund fünf Minuten. Mit der Idee von Battery-as-a-Service wollen die Chinesen eine bequeme und schnelle Alternative zum herkömmlichen Laden etablieren. Inzwischen gibt’s europaweit 43 Nio-Batterietauschorte, wo man eine zu 90 Prozent aufgeladene Batterie erhält, die zudem immer auf dem neuesten Stand der Technik und hinsichtlich aller Sicherheitsaspekte geprüft ist.


Das Ladekabel kommt im Innovationspark von oben und ist erst noch an einem Schwenkarm angebracht, so erreicht man die Ladebuchse am Auto auf alle Fälle. 

Kein Kabelsalat oder mühsames Rangieren
Wir mit dem VW ID.Buzz dagegen stehen vor der Qual der Ladekabel-Wahl. Die vier AC-Ladestationen fallen zwar weg, es bleiben aber immer noch 72 DC-Möglichkeiten. Also noch kurz die Tarife vergleichen, denn rund ums futuristische Tankgebäude herum gibt’s 35-kW-Ladepunkte, wo der Strom 45 Cent pro kWh kostet. Gleich daneben auch solche mit 140 kW, was dann aber 59 Cent kostet. Da aber unter den wie filigrane Pilze ins Dach schiessenden Säulen unterm Dach fürs HPS-Laden mit bis 300 kW ebenfalls 59 Cent zu Buche schlagen soll, ist der Fall rasch klar. Ab unters Dach. Praktisch zudem: Es ist absolut egal, auf welcher Seite die Ladebuchse am Fahrzeug angebracht ist, denn das Ladekabel kommt hier von oben und ist erst noch an einem Schwenkarm angebracht, so dass man es problemlos einstecken kann – Kabelsalat oder mühsames Rangieren, bis das Ladekabel doch bis zur Ladebuchse reicht – alles Vergangenheit!

Hier ist man in der Zukunft angekommen, und es tankt sich gut. Einfach Nummer am Ladekabel merken, innen am grossen Touchscreen eingeben, die Kredit- oder EC-Karte an den RFID-Contact-Point halten und schon wird der Ladevorgang gestartet. Statt blau leuchtet dann die LED-Leiste entlang des Ladekabels grün, so simpel geht das also auch. Wer will, scannt noch den QR-Code auf dem Bildschirm und erhält so Infos zum Ladevorgang draussen, während man im Sortimo-Laden stöbert oder sich im Restaurant einen Kaffee und etwas Süsses gönnt – praktisch. Denn die Ladezeiten betragen so in der Regel zwischen 15 und 45 Minuten. Ad-hoc-Laden ist im Sortimo Innovationspark ausserdem auch über verschiedenste Zahlungsmittel (Kreditkarte, Debitkarte, PayPal, Apple Pay, Google Pay, etc.) möglich, auch dies bedeutend kundenfreundlicher als anderswo.


Auch wenn Laden dank Ladeleistungen bis zu 475 kW schnell geht, im Restaurant samt Bäckerei lässt es sich gut verweilen. 

Nachhaltiges Energiemanagement
Einer der grössten Ladeparks Europas soll auch Impulse und Inputs für den Ausbau und die Weiterentwicklung der Elektromobilität geben. Die Idee von Zulieferer und Fahrzeugeinrichtungsspezialist Sortimo war nämlich nicht nur, einen Elektroladepark zu errichten, sondern darüber hinaus auch einen Campus für Digitalisierung, Energieeffizienz und Innovationen. Durch ein nachhaltiges Energiemanagement soll der Betrieb des Innovationsparks in Zusmarshausen nämlich langfristig zu einer CO2-neutralen Produktion bei Sortimo beitragen, dessen Werksgelände gleich auf der anderen Strassenseite liegt. Neben der Generierung von Strom durch erneuerbare Energien steht eine strategische Verwendung der gespeicherten Energie im Innovationspark oder in der Sortimo-Produktion auf dem Plan. Und beim Bau der E-Tankstelle der Zukunft wurde auch schon eine zweite Ausbaustufe mit insgesamt bis zu 144 Ladesäulen angedacht. Dann könnten hier tagtäglich sogar bis zu 4000 E-Fahrzeuge Strom tanken – wahlweise mit Leistungsstufen von 35 bis zu 280 kW.

Grösster Schnellladepark für E-Lastwagen
Nicht bis nach Zusmarshausen fahren, um fürs Laden voll auf ihre Kosten zu kommen, müssen übrigens E-LKWs, denn Anfang Juni hat die Firma Hugelshofer in Frauenfeld TG den mit 14 Ladestationen ausgerüsteten und eine Gesamtleistung von 5 Megawatt liefernden grössten Schnellladepark für Elektro-Lastwagen in Europa in Betrieb genommen. Der mit 2314 Photovoltaik-Modulen ausgestattete Truckport kann künftig zudem über eine Million kWh Strom produzieren. Dies hilft dem Bauherrn und Transportunternehmen Hugelshofer nicht nur die Energiekosten zu senken, sondern erlaubt es ihm, seinen Fuhrpark schrittweise auf Elektro-LKW umzurüsten. Denn bis 2028 will die Hugelshofer Logistik AG bei ihrem Fahrzeugpark bis zu 6209 Tonnen CO2 einsparen, und daher soll die eigene Elektro-Flotte bis dahin auch auf 70 E-LKW anwachsen. Umgesetzt hat das Pionierprojekt des Truckports Ampere Dynamic zusammen mit weiteren Partnern, so dass neben der Ladeinfrastruktur auch ein optimales Energiemanagement und die effiziente Nutzung von Solarenergie gewährleistet sind. Das wegweisende Projekt hat dafür soeben den Swiss Logistik Award 2024 gewonnen.

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