Mobilitätsexperte Jürgen Stackmann
«Die derzeitige Lage ist das neue Normal»
17. Februar 2025 agvs-upsa.ch – Der Konjunkturausblick für das Schweizer Autogewerbe 2025 von BAK Economics (siehe AUTOINSIDE 12/24 sowie 01/25) verheisst nicht viel Positives. Branchenexperte Jürgen Stackmann warnt davor, nun deshalb in Panik zu verfallen. Er rät Garagenbetrieben aber dringend dazu, sich neu auszurichten. Das Auto habe Zukunft – wenn auch in anderer Form. Yves Schott

Jürgen Stackmann ist einer der versiertesten Kenner der Autobranche im deutschsprachigen Raum. Foto: zVg
Jürgen Stackmann, in welchem Zustand befindet sich die Schweizer Automobilbranche ganz generell?
Jürgen Stackmann: Lustlos trifft es wahrscheinlich am besten. Es gibt derzeit praktisch keine Anzeichen, die für eine baldige Erholung oder geschweige denn ein Wachstum sprechen, weil der Markt stark gesättigt ist. Wir müssen die derzeitige Lage wohl oder übel als das neue Normal betrachten und das Beste daraus machen.
Was sind die ausschlaggebenden Gründe für die aktuelle Situation? Spielt Corona noch eine Rolle?
Nein, die Pandemie war höchstens Ausgangspunkt dieser konjunkturellen Delle. Seither haben hingegen diverse Hersteller ihr Preisniveau stark erhöht, teilweise um 30 oder gar 35 Prozent. Zweitens sind viele Automarken aus dem Kleinwagensegment ausgestiegen, etwa Ford mit seinem Fiesta. Bevölkerungsschichten mit tieferem Einkommen können sich gewisse Modelle folglich schlicht kaum mehr leisten – und nicht alle wollen einen Dacia fahren (lacht). Hinzu kommt eine grosse Unsicherheit bei Kundinnen und Kunden, die schlicht nicht mehr wissen, ob sie nun einen Benziner, einen Hybrid oder ein Elektrofahrzeug kaufen sollen.
Was bedeutet das alles konkret für AGVS-Mitglieder, für Garagistinnen und Garagisten allgemein?
Jeder wird versuchen, die grösstmögliche Marge aus diesem beschränkten Volumen zu schöpfen. Das Klima in der Branche dürfte rauer und härter werden. Als Garagist werde ich meinen Fokus statt auf Neuwagen umso mehr auf Occasionen und das Werkstattgeschäft legen müssen.
Laut dem BAK-Konjunkturreport wurden 2024 zum ersten Mal mehr Hybridfahrzeuge verkauft als klassische Benziner: Der Wille zur Veränderung scheint vorhanden zu sein.
Vollhybride und Plug-in-Hybride sind eine überaus sinnvolle Ergänzung zu jenen Autos, die rein mit Benzin oder Diesel angetrieben werden, ja. Ein Mildhybrid hat meines Erachtens hingegen wenig mit einer fortschreitenden Elektrifizierung im Strassenverkehr zu tun.
Bei der E-Mobilität harzt es gewaltig: 2024 sank der Absatz der komplett elektrisch betriebenen Fahrzeuge um über zehn Prozent.
Um einen objektiven Vergleich zu ziehen, lohnt sich ein Blick aus der Helikopterperspektive und damit auf jene Länder, die die Transformation geschafft haben. E-Mobilität bedingt nicht nur eine technische Veränderung, sondern auch ein neues Denken beim Konsumverhalten, ein engmaschiges, funktionierendes Ladenetz, Vertrauen der Kundschaft zu den Batterien et cetera. Norwegen und die Niederlande als Beispiel haben partei- und legislaturübergreifend Massnahmen eingeleitet, damit die Bevölkerung elektrisch fahren kann. Weil man davon überzeugt ist, dass der Ausstieg aus den fossilen Energien der richtige Weg ist, gerade, was die Energieunabhängigkeit anbetrifft.
Diese Umstellung ist in der Schweiz nicht geschehen?
Sagen wir: Die Politik wie die Händler haben sich zu wenig Mühe gegeben, die Unklarheiten mit entsprechenden Massnahmen aus dem Weg zu räumen. Stattdessen wird in klassischen Lagerkämpfen über die Sinnhaftigkeit von Verbrennern gestritten. Fakt ist, dass wir dekarbonisieren müssen. Nein, der Staat ist nicht für die E-Infrastruktur verantwortlich, doch er schafft die passenden Rahmenbedingungen.
Erfreulicher sieht es im Werkstattgeschäft aus, wie im BAK-Report zu lesen ist. Wegen tiefer Margen lässt sich aber dennoch kaum Geld verdienen. Sind die Zahlen also trügerisch?
Durch die gebirgige Topografie der Schweiz verfügen zahlreiche Händlerinnen und Händler bloss über ein beschränktes Marktvolumen. Trotzdem ist das Werkstattgeschäft insgesamt positiv zu bewerten: Der momentane Fahrzeugbestand altert, etliche Menschen kaufen ein Occasionsauto, was die steigenden Verkaufszahlen bestätigen. Die Befürchtung, wonach Elektroautos das Werkstattgeschäft langfristig ruinieren werden, hat sich glücklicherweise als falsch erwiesen. Es wird nicht zerstört, man muss es nur neu definieren.
Was ist aus Sicht der Garagistinnen und Garagisten zu tun?
Es geht darum, die eigene Organisation so zu gestalten, dass sie effizient funktioniert. Das heisst: möglichst viel Personal zu beschäftigen, das produktive Arbeit leistet. Denn als Garagist bin ich darauf angewiesen, in einem Markt zu wachsen, der selbst im Schrumpfen begriffen ist. Also: Wie kann ich meine eigene Position stärken, wie stelle ich eine regionale Dominanz her, welche Bereiche generieren Umsatz? Ich muss schlicht besser sein als die Konkurrenz. Jede Krise birgt auch eine Chance. Händler haben eine Zukunft, davon bin ich überzeugt.
Steigt die Nachfrage wieder, wenn die Konjunktur anzieht? Oder hat das Nein zum Autobahnausbau gezeigt, dass Autos schlicht ein Relikt aus der Vergangenheit sind?
Man darf sich nicht verrückt machen lassen und sollte mit einer gewissen Demut auf die letzten rund 15 Jahre zurückblicken. Es ging uns nun wahnsinnig lange gut, wir haben einen der längsten Wachstumszyklen überhaupt hinter uns. Ich würde das Votum nicht als Signal gegen das Auto verstanden wissen, sondern eher für mehr Ausgewogenheit. Das Auto hat eine grosse Zukunft, aber wohl in einer anderen Form. Wir sind gut beraten, zu sagen: Weniger ist mehr. Wachstum ja, doch eher in der Form von Wertschöpfung, nicht zwingend in der Menge.
Die Branche konnte auf Veränderungen stets reagieren. Und diesmal? Steppt irgendwann wieder der Bär?
Das Auto ist eine geniale Erfindung; es gibt einen Grund, wieso es sich auf der ganzen Welt und in allen Gesellschaften durchgesetzt hat. Ein Unternehmer oder eine Unternehmerin bleibt nicht stehen, bloss weil sich das Umfeld gerade kaum bewegt. Um Ihr Bild aufzunehmen: Jeder Bär ist für sein eigenes Glück verantwortlich und sollte für sich selbst steppen.

Jürgen Stackmann ist einer der versiertesten Kenner der Autobranche im deutschsprachigen Raum. Foto: zVg
Jürgen Stackmann, in welchem Zustand befindet sich die Schweizer Automobilbranche ganz generell?
Was sind die ausschlaggebenden Gründe für die aktuelle Situation? Spielt Corona noch eine Rolle?
Nein, die Pandemie war höchstens Ausgangspunkt dieser konjunkturellen Delle. Seither haben hingegen diverse Hersteller ihr Preisniveau stark erhöht, teilweise um 30 oder gar 35 Prozent. Zweitens sind viele Automarken aus dem Kleinwagensegment ausgestiegen, etwa Ford mit seinem Fiesta. Bevölkerungsschichten mit tieferem Einkommen können sich gewisse Modelle folglich schlicht kaum mehr leisten – und nicht alle wollen einen Dacia fahren (lacht). Hinzu kommt eine grosse Unsicherheit bei Kundinnen und Kunden, die schlicht nicht mehr wissen, ob sie nun einen Benziner, einen Hybrid oder ein Elektrofahrzeug kaufen sollen.
Was bedeutet das alles konkret für AGVS-Mitglieder, für Garagistinnen und Garagisten allgemein?
Jeder wird versuchen, die grösstmögliche Marge aus diesem beschränkten Volumen zu schöpfen. Das Klima in der Branche dürfte rauer und härter werden. Als Garagist werde ich meinen Fokus statt auf Neuwagen umso mehr auf Occasionen und das Werkstattgeschäft legen müssen.
Laut dem BAK-Konjunkturreport wurden 2024 zum ersten Mal mehr Hybridfahrzeuge verkauft als klassische Benziner: Der Wille zur Veränderung scheint vorhanden zu sein.
Vollhybride und Plug-in-Hybride sind eine überaus sinnvolle Ergänzung zu jenen Autos, die rein mit Benzin oder Diesel angetrieben werden, ja. Ein Mildhybrid hat meines Erachtens hingegen wenig mit einer fortschreitenden Elektrifizierung im Strassenverkehr zu tun.
Bei der E-Mobilität harzt es gewaltig: 2024 sank der Absatz der komplett elektrisch betriebenen Fahrzeuge um über zehn Prozent.
Um einen objektiven Vergleich zu ziehen, lohnt sich ein Blick aus der Helikopterperspektive und damit auf jene Länder, die die Transformation geschafft haben. E-Mobilität bedingt nicht nur eine technische Veränderung, sondern auch ein neues Denken beim Konsumverhalten, ein engmaschiges, funktionierendes Ladenetz, Vertrauen der Kundschaft zu den Batterien et cetera. Norwegen und die Niederlande als Beispiel haben partei- und legislaturübergreifend Massnahmen eingeleitet, damit die Bevölkerung elektrisch fahren kann. Weil man davon überzeugt ist, dass der Ausstieg aus den fossilen Energien der richtige Weg ist, gerade, was die Energieunabhängigkeit anbetrifft.
Diese Umstellung ist in der Schweiz nicht geschehen?
Sagen wir: Die Politik wie die Händler haben sich zu wenig Mühe gegeben, die Unklarheiten mit entsprechenden Massnahmen aus dem Weg zu räumen. Stattdessen wird in klassischen Lagerkämpfen über die Sinnhaftigkeit von Verbrennern gestritten. Fakt ist, dass wir dekarbonisieren müssen. Nein, der Staat ist nicht für die E-Infrastruktur verantwortlich, doch er schafft die passenden Rahmenbedingungen.
Erfreulicher sieht es im Werkstattgeschäft aus, wie im BAK-Report zu lesen ist. Wegen tiefer Margen lässt sich aber dennoch kaum Geld verdienen. Sind die Zahlen also trügerisch?
Durch die gebirgige Topografie der Schweiz verfügen zahlreiche Händlerinnen und Händler bloss über ein beschränktes Marktvolumen. Trotzdem ist das Werkstattgeschäft insgesamt positiv zu bewerten: Der momentane Fahrzeugbestand altert, etliche Menschen kaufen ein Occasionsauto, was die steigenden Verkaufszahlen bestätigen. Die Befürchtung, wonach Elektroautos das Werkstattgeschäft langfristig ruinieren werden, hat sich glücklicherweise als falsch erwiesen. Es wird nicht zerstört, man muss es nur neu definieren.
Was ist aus Sicht der Garagistinnen und Garagisten zu tun?
Es geht darum, die eigene Organisation so zu gestalten, dass sie effizient funktioniert. Das heisst: möglichst viel Personal zu beschäftigen, das produktive Arbeit leistet. Denn als Garagist bin ich darauf angewiesen, in einem Markt zu wachsen, der selbst im Schrumpfen begriffen ist. Also: Wie kann ich meine eigene Position stärken, wie stelle ich eine regionale Dominanz her, welche Bereiche generieren Umsatz? Ich muss schlicht besser sein als die Konkurrenz. Jede Krise birgt auch eine Chance. Händler haben eine Zukunft, davon bin ich überzeugt.
Steigt die Nachfrage wieder, wenn die Konjunktur anzieht? Oder hat das Nein zum Autobahnausbau gezeigt, dass Autos schlicht ein Relikt aus der Vergangenheit sind?
Man darf sich nicht verrückt machen lassen und sollte mit einer gewissen Demut auf die letzten rund 15 Jahre zurückblicken. Es ging uns nun wahnsinnig lange gut, wir haben einen der längsten Wachstumszyklen überhaupt hinter uns. Ich würde das Votum nicht als Signal gegen das Auto verstanden wissen, sondern eher für mehr Ausgewogenheit. Das Auto hat eine grosse Zukunft, aber wohl in einer anderen Form. Wir sind gut beraten, zu sagen: Weniger ist mehr. Wachstum ja, doch eher in der Form von Wertschöpfung, nicht zwingend in der Menge.
Die Branche konnte auf Veränderungen stets reagieren. Und diesmal? Steppt irgendwann wieder der Bär?
Das Auto ist eine geniale Erfindung; es gibt einen Grund, wieso es sich auf der ganzen Welt und in allen Gesellschaften durchgesetzt hat. Ein Unternehmer oder eine Unternehmerin bleibt nicht stehen, bloss weil sich das Umfeld gerade kaum bewegt. Um Ihr Bild aufzunehmen: Jeder Bär ist für sein eigenes Glück verantwortlich und sollte für sich selbst steppen.
Fakten zur Person
Jürgen Stackmann, geboren 1961 in Buxtehude (D), ist einer der versiertesten Kenner der Automobilbranche im deutschsprachigen Raum. Er war unter anderem als Vice President Marketing von Ford Europa und Marketingchef des Volkswagen-Konzerns tätig. Jürgen Stackmann doziert unter anderem an der Uni St. Gallen, ist verheiratet und hat zwei Töchter.
Jürgen Stackmann, geboren 1961 in Buxtehude (D), ist einer der versiertesten Kenner der Automobilbranche im deutschsprachigen Raum. Er war unter anderem als Vice President Marketing von Ford Europa und Marketingchef des Volkswagen-Konzerns tätig. Jürgen Stackmann doziert unter anderem an der Uni St. Gallen, ist verheiratet und hat zwei Töchter.
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